Dass auch Tiere krank werden, die man artgerecht, ja sogar unter natürlichen Idealbedingungen hält, war für mich ein ziemlicher Schock. Ich bekam das mit, als ich zwischen 1987 und 1990 immer mal wieder mehrere Monate in der Toskana lebte, wo mein damaliger Freund mit seinem Erbe ein altes Bauernhaus, ein „Podere“ gekauft hatte.
Es war ein Doppelhof nicht weit von Siena. Die Nachbarn hielten Schafe, Ziegen und Hühner, lebten aber hauptsächlich von Touristen, wie alle dort ansässigen Auslandsdeutschen. Die Schafe wurden von einem Sarden und seinen Hütehunden betreut, wie man das immer schon getan hatte – und im ebenerdigen Keller machte er aus der Milch wunderbaren Peccorino in rauhen Mengen.
Und diese Schafe, die es in dieser wunderschönen Landschaft doch so gut hatten, wurden tatsächlich öfter krank! Ich konnte es erst gar nicht verstehen: als Städterin glaubte ich an die Natur als das grundsätzlich Gesunde, Heilsame, als das große Gegenteil der technischen Zivilisation, die in den Alternativ- und Umweltbewegungen der 70ger- und 80ger-Jahre schwer in die Kritik geraten war.
Ernüchterungen
Wie konnten bloß Schafe, denen es an nichts mangelte, krank werden? Mir wurde erst jetzt bewusst, wie naiv ich „das Natürliche“ als das Wahre, Schöne und Gute idealisiert hatte, komplett vergessend, dass die Menschheitsgeschichte lange vom Kampf gegen eine zwar gleichgültige, in ihrem Wirken jedoch oft feindliche Natur geprägt war – und dass auch das KRANKE zur Natur gehört, die aus dem sprichwörtlich „krummen Holz“ geschnitzt ist.
Krankheit blieb nicht die einzige Irritation dieses stadtkindlichen Weltbilds, die mir in dieser Zeit widerfuhr! Ich beobachtete alles, was da so kreuchte und fleuchte und sah Dinge, die mir gar nicht gefielen: wie z.B. bestimmte Wespenarten Raupen fingen, betäubten und wegschleppten. Sie legen ihre Eier in die Beute, die dann den schlüpfenden Larven als Nahrung dienen – was für ein Horrorszenario! Die Natur war also nicht nur nicht HEIL, sonder auch grausam und BÖSE!
Natürlich weiß ich, dass man menschlich-ethisches Empfinden nicht auf Tiere anwenden kann, und auch, dass wir Menschen ebenfalls recht grausam werden können, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt. Was ich hier berichte, spielt sich mehr auf der Gefühlsebene ab als im Reich des Verstandes: ich war schwer ENTTÄUSCHT von der Natur, ernüchtert und sogar irgendwie beleidigt, dass sie meinen Erwartungen nicht entsprach.
In der Rückschau betrachtet, waren diese Enttäuschungen wichtig und nötig. Mein Verhältnis zur Natur (und damit auch zur Zivilisation und Kultur) wurde realistischer – und ich fühlte mich als Mensch nicht mehr völlig außen vor, weder als „was Besseres“ noch fortwährend als moralischer Verlierer, weil ich – persönlich oder mittelbar – Umwelt nach meinen menschlichen Bedürfnissen gestalte.
Im wilden Garten bemerke ich, dass es heute anders ist als in jener ersten Gartenphase in der Toskana. Die Planzen und Tiere sehe ich als ebenso „lebensberechtigte“ Einwohner des Gartens wie mich selbst: was mich nicht belästigt, bekämpfe ich nicht, nur um bestimmte Vorstellungen von „heiler Ordnung“ durchzusetzen – aber ich nehme mir auch meinen Platz, wenn mich etwas wirklich stört.
Es war schon witzig, wie ich mit Matt Nisthilfen für Hummeln und Wildbienen aus alten Gartenfackeln bastelte, während eine Hummel sich längst für einen Platz im Dachgebälk unserer Remise (quasi das „Wohnzimmer“) entschieden hatte. Wir haben ihre Entscheidung respektiert, denn an die paar harmlosen Brummer kann man sich ja gewöhnen. Ein Hornissennest wiederum hätte ich nicht geduldet – und wenn eine Pflanze alles andere überwuchert, schreite ich ein, ganz ohne schlechtes Gewissen!
23. April 2008 um 17:31
So manch einer hat, wenn er sich innerlich mit der Natur „verbindet“, ein Gefühl von Harmonie. Diese Betonung der Harmonie zeugt aber von eingeschränktem, also gerade nicht von erweitertem Bewusstsein. Dein Artikel zeigt, dass Harmonie nicht gerade DER Inhalt oder Zweck des Naturgeschehens ist. Das blenden viele aus. Durchaus bezeichnend, dass es bisher keinen Kommentar hierzu gab! Umso mehr dürfen wir aber die Natur achten und ehren, in welcher Anspannung, Kampf und Beruhigung ebenso abwechseln wie in unserem menschlichen Leben auch, das ja ebenfalls nicht außerhalb der Natur steht. Trotzdem singt sie wunderschön, die Amsel … auch wenn der Inhalt lautet: bleibt nur weg von meinem Revier, hier habe ich das Sagen (pardon: das Singen) …
23. April 2008 um 18:00
Danke für deinen wunderschönen Kommentar. Mich hat auch ein wenig gewundert und enttäuscht, dass keiner der ganze Natur- und Gartenfreunde, die hier rein schauen, dazu was gesagt hat.
Hast du auch ein Blog oder eine Website?
24. April 2008 um 23:01
Nein, ich bin nicht mit einem eigenen Produkt im Internet präsent, mische aber manchmal bei Wolfs schreibkunst-Forum mit (als Matthias bzw. neuerdings als Matthias H., um Verwechslungen zu vermeiden). Insofern sind wir uns schon ein paar Mal virtuell begegnet und haben wechselseitig Bezug auf unsere Postings genommen. – Es ist gut, dass es deine Blogs gibt, und dass Du Ernsthaftes und Schönes gleichermaßen publizierst, ist ein besonderer Gewinn. Liebe Grüße aus Frankfurt nach Berlin, mach einfach weiter so!
24. April 2008 um 23:55
@Matthias: ist das Schöne nicht auch ernsthaft? :-)
25. April 2008 um 22:56
@Claudia: ich möchte Dir darauf jetzt nicht philosophisch antworten, sondern aus meiner sehr persönlichen Perspektive. Ich habe immer noch nicht wirklich gelernt, Schönes auf mich wirken zu lassen, ohne rasch wieder den Bogen zu spannen zu irgendeinem problematischen oder traurigen Aspekt der Sache. Während manch einer gut daran täte, mehr Ernsthaftigkeit in sein Leben zu bringen, steht bei mir immer noch das umgekehrte Lernziel an. Ich musste zunächst einmal begreifen, dass ich im ständigen Problematisieren deshalb immer bestens zu Hause war, weil mir zur Freude und zum Genuss irgendwie die Fähigkeiten fehlten. Hier die richtige Gewichtung hinzubekommen, so, dass Freude und Ernsthaftigkeit sich nicht gegenseitig die Luft wegnehmen, scheint mir ein großes Stück Lebenskunst zu sein.
26. April 2008 um 10:11
@Matthias H: danke, dass du nicht „philosophisch“ geantwortet hast!! Hey, du solltest bloggen, jedenfalls würde ich dich gerne lesen! :-) Es gibt leider wenig Männer, die „von sich schreiben“.
Die Problematik kenne ich auch von mir. Mit dem „Problemlöserdenken“ konnte ich da aber nie etwas ausrichten. Sondern nur, indem ich lernte, aus diesem Denken phasenweise AUSZUSTEIGEN. Ein Garten ist dabei eine gute Hilfe, überhaupt alles, was die Energie vom Denken/Grübeln abzieht und anderweitig fließen lässt: körperliche Arbeit, Yoga (u. vergleichbare Übungssysteme), Sex.
Das ist jetzt glatt ein Thema fürs Digital Diary – evtl. schreib ich demnächst drüber.
Pingback: Lebenskunst: Vom unglücklichen Bewusstsein und der Schreckensherrschaft des Verstandes
29. August 2018 um 19:42
Sehr schöner Artikel, wir haben auch einige Hühner in artgerechter Haltung und erfreuen uns jeden Tag an der schönen Natur und den Tieren.
19. September 2018 um 12:30
Eine sehr informative Seite über Hühner und deren Haltung. Tolle hilfreiche Tipps und viele Informationen die es um das Wohl der Hühner zu wissen gilt. Vielen Dank