Heute geht es um ein Buch für Großstädter/innen, die sich nach einem Garten sehnen, lesenswert auch für Landmenschen, in deren Lebenswelt diese Garten-Begeisterten ankommen.
Sebastian Lehmann ist Berlin-Flüchtling, zumindest während der Gartensaison. Zwar kam er einst nach Berlin, um der Ruhe, der Langweiligkeit und Spießigkeit süddeutscher Kleinstädte zu entfliehen, aber jetzt wird er selbst bald 40 und Berlin ist ihm zu laut. Um dem Lärm der Baustellen und der feiernden Jugend zu entkommen, hat er sich ein Gartengrundstück in Mecklenburg gekauft. Das alles erfährt man im ersten Kapitel seines Buches mit dem schönen Titel „Das hatte ich mir grüner vorgestellt„, durchaus selbstironisch und recht unterhaltsam erzählt.
Schon im Prolog zeigt sich der städtische Aktivismus, der im ersten Gartenjahr des Autors noch öfter zum Problem werden soll: Eine große Tanne muss fallen, weil sie das Grundstück ab mittags verschattet. Als sie wirklich fällt, nachdem die handwerklichen Newbees einen halben Tag mit einer im Baumarkt geliehenen Kettensäge daran gearbeitet haben, merkt Lehmann: er ist eigentlich noch nicht bereit!
Nun ist es allerdings zu spät und wir dürfen diese und viele weitere Irritationen des gärtnernden Städters „draußen im Land“ miterleben. Die gewisse Berliner Hipster-Arroganz gegenüber diesem Land spürt man schon gleich, wenn er im Kapitel „Aufs Land“ schreibt:
Wenn man Berlin verlässt, kommt ersmal nichts. Außer man fährt in Richtung Potsdam – dann kommt Potsdam. Und danach nichts.
Natürlich wird dieses Urteil gleich wieder gebrochen durch ein Loblied auf die Leere der dünn besiedelten Uckermark, schließlich vermisst der Stadtflüchtling die Leere, die Anfang der Nullerjahre sogar in Berlin noch zu spüren war. Es stellt sich allerdings heraus, dass Brandenburg nicht mehr leer genug ist, da waren Andere schon schneller. Also landen Lehmann und Freundin schließlich in Mecklenburg, wo sie – natürlich über Bekannte – noch einen Garten finden, sogar am See!
Wer bis hierher gelesen hat, wird das Buch auch bis zum Ende lesen, ich weiß, wovon ich spreche, obwohl der Buchwelt selbst ein Stück weit entwöhnt! Es ist höchst amüsant, die weiteren Erlebnisse der ahnungslosen Neu-Gärtner zu verfolgen, die vor Spinnen in Panik geraten und im ersten Frühling krass erstaunt sind, dass der im Winter erworbene Garten zugewachsen ist.
Wochenende um Wochenende müssen sie jetzt physisch arbeiten, um Laube und Garten auf Vordermann zu bringen – unterstützt von den Mitgliedern der Kleingartenanlage. Dabei gehen sie vor, wie man es eben als Stadtmensch so macht: Gründlich, alles Alte muss weg (fürchterliches Zeug!), alles wird neu – das macht natürlich viel Arbeit an sämtlichen Wochenenden, zunehmend auch ganze Wochen am Stück. Unser Autor kommt nicht mehr zum Schreiben sondern entdeckt mitten im Sommer, dass zur Datsche eine „Grube“ gehört, die auch mal voll ist.
Eigentlich ist das ganze erste Jahr eher ein Bau-Jahr, trotz des ersten Gemüsebeets. Dabei werden sie nicht mal fertig mit allem, was sie sich vorgenommen haben. Am Ende kann sich Lehman ein Leben ohne Garten nicht mehr vorstellen: trotz aller Irritationen, aller Probleme und manchmal überfordernder Aufgaben, die das Leben im selbst zu gestaltenden Garten-Exil mit sich bringt.
Beste Liegestuhl-Lektüre für laue Sommerabende
Das Buch „Das hatte ich mir grüner vorgestellt“ eignet sich aufs Beste zur Lektüre im Liegestuhl im eigenen Garten! Man kommt aus dem Schmunzeln fast nicht heraus, was vor allem an der witzigen Schreibe des Autors liegt: Lehmann ist nämlich auch Kleinkünstler, der seine Texte auf Bühnen vorliest. Der „Sound“ erinntert mich ein wenig an die Texte von Torsten Sträter, seines Zeichens Comedy-Schriftsteller und Slam Poet. Voller Witz und Ironie behandelt das Buch die Ambivalenzen des Stadt- und Landlebens – langweilig wird es nie!
Und hier nun der verdiente Werbelink – beim “Blick ins Buch” findet sich eine lange Leseprobe, die ich sehr empfehle!
Das hatte ich mir grüner vorgestellt
Broschiert : 240 Seiten
ISBN-10 : 3442316006
ISBN-13 : 978-3442316007
Als Taschenbuch: 13 Euro
Im Kindle-Format: 9,99
10. Juni 2021 um 12:39
Ihr Blog ist sehr informativ. Danke, dass Sie ihn geteilt haben.
16. Juni 2021 um 12:55
Meine Erfahrung ist, dass man einen Garten lange in Ruhe lassen muss, damit er perfekt wird. Ich finde, je mehr es wuchert, desto schöner. Die Natur ist doch echt der beste Stylist. Das sehe ich immer wieder bei meinen Eltern im Garten – In diesem Jahr sind sogar Wildbienen in die Fugen der Terrasse eingezogen.
Da ich das (ich wohne in der Stadt) nicht haben kann, bin ich dazu übergegangen, regelmäßig für die Aufforstung deutscher Wälder zu spenden. Nach dem Motto: kein Beet, kein Garten, kein Land?
Mit planted.green kannst Du trotzdem pflanzen.
30. Juni 2021 um 16:33
Als Vorstadtkind bin ich in der Tat an beides gewöhnt: Gartengrundstück und Hochhaussiedlung. Bereits seit der Kinderzeit konnte ich mit letzterem gar nichts anfangen, zu gerne habe ich Mutti und Omi im Garten gehölfen beim Säen und Ernten. Nichts war schöner als für Oppa auf den Kirschbaum zu klettern und kräftig zu schütteln.
Das alles sollen meine Kinder auch einmal machen können. Ich finde es wichtig, dass Kinder im Garten miterleben können, wie man für Pflanzen etc. Verantwortung übernimmt. Sollte es ihnen keinen Spaß machen, müssen sie natürlich nicht, aber die Möglichkeit sollte es geben.
Zudem kann sich ein Rückzug aufs „Land“ auch finanziell lohnen, wenn man sich Wohnungs- und Grundstückspreise in der Stadt und deren Entwicklung mal zu Gemüte führt…
15. November 2023 um 11:00
Ganz viel Liebe für das Potsdam-Zitat, habe sehr herzhaft Lachen müssen :D
Wenn man vom Vorort in die Großstadt fährt, kann man mMn super den Übergang ins urbane Umfeld daran festmachen, dass es immer weniger grün und immer mehr grau wird.