Investor fordert Tabubruch: Wohnungen bauen, Kleingärten abschaffen

Kleingärten

Wie der Berliner Tagesspiegel berichtet, fordert der Immobilienentwickler Arne Piepgras in einen offenen Brief an die Bausenatorin Lompscher, dass die innerstädtischen Kleingartenanlagen

„…geschleift und mit günstigen Wohnungen bebaut werden. Piepgras hat ausgerechnet, dass auf den 3000 Hektar Gartenparzellen etwa 400.000 Wohnungen gebaut werden könnten, seine Kalkulation ist in dem Brief nachzulesen, der am Sonnabend als Anzeige im Tagesspiegel erschien.“

So, so, auf einmal soll es also möglich sein, „günstige“ Wohnungen zu bauen – wer’s glaubt wird selig! Der Investor nutzt die exorbitant gestiegenen Mieten in Berlin für einen Frontalangriff auf das Kleingartenwesen, wie es ihn so noch nie gegeben hat. Kleingärten sollen an den Stadtrand umgesiedelt werden, dann könnten auf den 3000 Hektar Gartenparzellen etwa 400.000 Wohnungen gebaut werden. Das sei GERECHTER als der Erhalt der Kleingärten – ertaunlich, wie ein Investor auf einmal die „Gerechtigkeit“ für sich entdeckt. Viel Ahnung vom Sinn der Kleingärten hat er jedenfalls nicht, die mit ihrem vielfältigen Grün zur Stadtökologie wesentlich beitragen, gärtnerisches Wissen weiter tragen und für die Artenvielfalt in Zeiten des Artensterbens Rückzugsorte bieten.

Ein Zugriff auf die Kleingärten, deren Grund noch mehrheitlich in öffentlichen Eigentum steht, erscheint dem Investor eben einfacher, als sich um die vielen Flächen zu bemühen, die in Berlin noch bebaubar wären. So kommentiert ewa Heiko61 unter dem Artikel:

„Wer durch Berlin fährt, sieht inzwischen in der Gründerzeitstadt zwar kaum noch Baulücken aber dafür andernorts nach wie vor weitläufiges gar nicht oder nur wenige Tage im Jahr genutztes Ödland (mit dem Tempelhofer Feld an der Spitze), alte Industriebrachen, großzügige nur einstöckig bebaute Einzelhandels- und Lagerflächen mit meist sehr weitläufigen und gut im Untergeschoss oder separaten Gebäuden konzentrierbaren PKW-Stellflächen. Des weiteren erhebliche nur notdürftig begrünte Restflächen und ähnliche Potentiale mehr. Darüber hinaus sind sowohl die Dachgeschosse der Gründerzeithäuser als auch die Flachdachflächen vieler Bauten der letzten 40 – 50 Jahre eine leicht aktivierbare Ausbaureserve. Insgesamt Platz für mindestens weitere 1 – 2 Jahrzehnte Wohnungsneubau!“

Insgesamt hat der Artikel bis jetzt (11 Uhr) 218 Kommentare. Ein paar davon will ich hier zitieren:

„Viele Menschen finden Berlin attraktiv. Warum? Weil es anderes ist als andere Großstädte. Es ist eine grüne Stadt. Wir sollten alle überlegen, ob es sinnvoll ist alles zuzupflastern, nur weil alle im Moment Berlin toll finden. Wenn wir alles dem anpassen was alle wollen, wird Berlin genauso normal wie andere Großstädte. So austauschbar wie Mainstream-Klamotten.“ (Popli)

„Auch eine Großstadt braucht Luft zum Atmen. Das Grün bedeutet bessere Luft, die ohne kaum zu ertragen wäre. Es geht auch um gewachsene Gemeinschaften, die Strukturen ersetzen die woanders längst zerstört sind. Zudem nehme ich diesem Investor keine Millisekunde lang ab, dass der sich das Wohl der Stadt sorgt und dort günstiger Wohnraum entstehen würde. Für mich ist das nur der gierige Griff nach Bauland um den eigenen Profit zu steigern.“ (Pat7)

„Ich bin gestern wie so häufig im weiteren Berliner Innenstadtbereich unterwegs gewesen. Es gibt genügend Brachflächen, die erschlossen werden können. Wäre natürlich aufwändiger und ihr Gewinn nicht ganz so groß, aber wenn Ihr Interesse tatsächlich dem Wohlergehen der Stadt und ihren Bürgern gilt, dann sollte das ja kein Problem darstellen, oder?
Ironie off!“ (Sonntagsgenießer)

„Klar, erst die Kleingärten, dann die Parks, dann der Stadtforst – alles unnütze Bauverweigerung für uns Immobilieninvestoren.“ (ack)

„Es kommt einfach irgendwann der Punkt wo man sagen muss: es kann nicht jeder in die Berliner Innenstadt ziehen. Es gibt zu wenig Platz.
Es ist nur die Frage ob man das jetzt sagt wo die Stadt noch viele Grünflächen und Erholungsgebiete hat oder ob man noch ein paar Jahre wartet bis das alles kaputt ist.“ (vern)

Es gibt aber auch Kommentare, die sich für Wohnungsbau statt Kleingärten aussprechen:

„Private Gartenanlagen in diesem Ausmaß haben in der inneren Stadt nichts verloren. Sie werden nur wenige Monate im Jahr genutzt, eigentlich nur bei gutem Wetter, oft nur am Wochenende. Und es profitieren nur sehr wenige. Dazu gibt es in Berlin viele Anlagen mit bester ÖPNV-Anbindung. Stattdessen müssen die Leute ins Umland ziehen und aufgrund der dort schlechteren Infrastruktur dann mit dem Auto in die Stadt pendeln. Das ist Stadtplanung aus der Hölle.“ (rowa1)

„Kleingärten mitten in der Stadt – dieser Unsinn mit Gartenzwerg, Stammtisch und Vereinsmeierei gehört – wenn überhaupt – mindestens vor die Tore der Stadt. Der Initiative des Projektentwicklers stimme ich unbedingt zu.“ (purist)

Und einige mehr, die in diese Kerbe hauen, ohne einen Gedanken an die vielen anderen Möglichkeiten zu denken, die zum verstärkten Wohnungsbau genutzt werden könnten. Von der Kleingärtnerei wissen sie offensichtlich wenig und pflegen uralte Vorurteile.

Kleingärten sind KEINE Wochenendgrundstücke

Kleingärten sind z.B. nicht wirklich „privat“,denn ihre Nutzung ist durch Gesetze und Vorschriften geregelt, die sie von Wochenendgrundstücken deutlich unterscheiden. Was oft als „spießig“ empfunden wird, wie etwa die vorgeschriebene Heckenhöhe und die Pflicht zur „kleingärtnerischen Nutzung“ ergibt sich aus dem Bundeskleingartengesetz, das – in Europa einzigartig – die Sozialbindung und den Schutz der Kleingärten ermöglicht, mit vielfältigem Nutzen für die Allgemeinheit.

„Als Teil des Grünflächensystems erfüllen Kleingärten im Städtebau wichtige Ausgleichs- und Erholungsfunktionen. Daher ist die Förderung des Kleingartenwesens eine wichtige städtebauliche, gesundheits- und sozialpolitische Aufgabe des Landes Berlin.“ heißt es auf den Seiten des Umweltsenats. Und auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag steht:

„Kleingärten werden dauerhaft gesichert. Wenn der Schutz nicht möglich ist, sind Ersatzflächen in räumlicher Nähe zu schaffen.“

Momentan besteht also Grund zur Hoffnung, dass sich das Ansinnen des Investors nicht so bald durchsetzt. Andrerseits sind Kleingärten immer von vielerlei Interessen bedroht, mussten schon vielerorts Bauvorhaben weichen und sind – auch in Berlin – nicht wirklich auf Dauer gesichert. Kleingartenvereine und alle Gartenfreunde mit Parzellen tun also gut daran, den Nutzen für die Allgemeinheit nicht aus den Augen zu verlieren und weiter zu entwickeln. Das kann viele verschiedene Formen annehmen:

  • Zu Bildungsveranstaltungen und Festen auch im weiteren Wohnumfeld einladen
  • Lehrgärten anlegen, nicht nur für Vereinsmitglieder
  • Immer mal drauf achten: Wie sieht mein Garten für Spaziergänger aus?
  • Gemeinschaftsflächen für Sport und Spiel auch von Anwohnern mitnutzen lassen
  • Nicht zuletzt: Mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben!

Das war es für jetzt. Mich hat der „offene Brief“ wirklich entrüstet! Und wie seht Ihr das?

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Autor: ClaudiaBerlin

Claudia lebt und gärtnert in Berlin und bloggt seit 2005 rund ums naturnahe Gärtnern. Folge dem Blog auf Twitter.com/gartenzeilen - da gibts Lesetipps und allerlei Infos rund um unser tolles Hobby.

6 Kommentare

  1. Ein Großteil der Flächen muss ja aus Nutzfläche bestehen. Das heißt das der überwiegende Teil, zur Selbstversorgung der Nutzer dient. Zumindest halbjährlich wird diese Fläche also genutzt. Bei vielen Kleingärtnern die Winter Gemüse kultivieren, auch mehr.

    Berlin habe ich als Tourist im Monat Juni kennen gelernt und es hat mich tief beeindruckt, wie grün und schön Berlin ist. Das macht die Stadt luftig und lässig, es wäre schade, wenn man das den Menschen weg nimmt.

  2. Liebe Claudia, lieber Matthias,

    was für eine Katastrophe, wenn das wirklich passiert! Wir leben innerhalb des Berliner S-Bahnrings in einer Straße mit hoher Feinstaubbelastung und sind froh, regelmäßig im Garten auch mal die „andere Luft“ zu atmen. Hoffentlich bleibt sie uns noch etwas erhalten!
    Grüne Grüße,
    Caro

  3. So radikal wird das nicht kommen, denke ich – allenfalls „scheibchenweise“ und langsam…. aber der Druck ist da und es kommt darauf an, dem etwas entgegen zu setzen. Noch waren die Kleingartenfreunde in den Kommentaren zum Artikel in der Mehrheit (auch Menschen ohne Garten), aber es gab auch schon etliche Neider und die übliche Anmache von wegen „spießige Gartenzwerg-Heinis“.

  4. Mein Mann und ich haben seit 10 Jahren einen Kleingarten. Allerdings nicht in Berlin. Das Thema betrifft aber ganz Deutschland. Wir leben in einer Zeit in der Umweltschutz ganz groß geschrieben wird. Was tun wir aber wirklich für die Umwelt? Ich denke hier beispielsweise an das Sterben von Bienen und Insekten deren Lebensraum, zugunsten von Profitgier, immer mehr beschnitten wird. Diese kleinen Tierchen, die meist ja nur als lästig empfunden werden, sind wichtig für das Überleben der Menschheit. Der Kleingärtner sorgt für deren Lebensraum. Oder, die Versiegelung von versickerungsfähigen Flächen. Durch Wohnungsbau werden große Flächen versiegelt, dadurch kann Regenwasser nicht versickern und gelangt nicht mehr ins Grundwasser, auch wenn versickerungsfähige Materialien verwendet werden. Vielleicht sollten diejenigen, die Kleingärtner als spießig bezeichnen auch mal über den Tellerrand schauen. Um etwas für die Umwelt zu tun reicht es eben nicht Bioprodukte zu kaufen. Es gibt noch viele weitere Gründe warum Kleingärten erhalten bleiben sollten, aber ich möchte keinen Roman schreiben. Übrigens, nicht jeder Kleingärtner hat Gartenzwerge im Garten stehen.

  5. @Kleingärtner: stimme dir voll zu! Wenn die Städte zu komplett zugebauten Betonwüsten werden, sinkt die Lebensqualität auch für die Menschen – und natürlich hast du mit den Umweltschutzargumenten zu Gunsten der Artenvielfalt recht!
    Ein paar Hochbeete im gemeinschaftlichen „Urban Gardening“ leisten bei weitem nicht das, was ein Kleingarten für die Tier- und Pflanzenwelt bringt!

  6. Pingback: Gartengeplauder über Tomaten, Beete und die kleingärtnerische Nutzung

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