Wenn ein Mensch sich nurmehr gehen lässt oder wegen Krankheit nicht mehr in der Lage ist, das eigene Leben zu gestalten, dann ist die Rede vom „nur noch dahin vegetieren“ nicht weit.
Klar, als selbstbewusste Person, die eine Vergangenheit hat und (hoffentlich) auch eine Zukunft, ist das „bloße dahin vegetieren“, das „Dasein als Gemüse“ eine schreckliche Vorstellung.
Dass wir mit diesen Begrifflichkeiten gleichzeitig auch das pflanzliche Leben als etwas Minderwertiges abqualifizieren, ist uns gar nicht bewusst. Viele nehmen Pflanzen sowieso nur als „Material“ für menschliche Zwecke wahr, nicht als interessante Mitlebewesen auf diesem Planeten.
Wie unglaublich falsch, ignorant, seinsvergessen!
Dabei macht es keinen Unterschied, ób jemand nur die Eignung einer Pflanze als Dämmaterial anschaut oder ein Gärtner nur die Ernteleistung.
Auch wer die Gewächse allein nach ihrem ästhetischen Wert in einem bewusst SCHÖN gestalteten Garten beurteilt, darf sich hier mitgemeint fühlen (da bin ich auch selber gelegentlich dabei!)
Sie leben. Sie sind unter uns. Sie haben Charakter, Stärken und Schwächen. Sie sind je nach Blickwinkel und Phase schön oder hässlich, doch hängt das mehr vom Betrachter ab als dass es mit ihnen SELBST etwas zu tun hätte.
Sie sind im Übrigen oft Gattungswesen – in meinem Empfinden. Die Brennessel/n, die Goldrute, der Sauerampfer, der Giersch, die Brombeere: sie sind für mich keine Individuen. Ich bekämpfe sie am einen Ort und lasse sie am anderen machen. Wobei mein Respekt, meine Liebe, meine Bewunderung ihnen als „ganzes Phänomen“ gilt, nicht so sehr der einzelnen Pflanze.
Bei einem alten Baum sieht das auch mal anders aus. Einen alten Baum zu fällen ist eine Sünde und braucht einen guten Grund (buchstabengetreuer vorauseilender Gehorsam ist KEINER!). Eine einzelne Brennessel heraus zu reissen, wirft keine vergleichbaren Fragen und Emotionen auf. Erst wenn man auf die Schiene gerät, gar keine Brennesseln im Garten mehr haben zu wollen – erst dann verabschiedet man sich vom Streben nach Artenvielfalt und Akzeptanz all jener tollen Geschöpfe, die von selber zu uns kommen, bzw. bei uns wachsen wollen. Die damit immer auch etwas lehren, uns Informationen über den Status des Gartens, des Bodens, des „Wohlfühlpotenzials“ aus der Sicht der jeweiligen Pflanze geben.
Ich hab‘ Lust, in Zukunft mehr über mein gefühltes Erleben mit unseren pflanzlichen Mitlebewesen zu schreiben – abseits bloßer Pflegetipps und wächst-oder-wächst-nicht-Erfahrungen.
Über entsprechende Links bzw. Postings anderer Pflanzenfreunde freu ich mich!
9. Juli 2013 um 07:13
Tja, ähnliche Gedanken treiben mich auch dazu, dass unser Garten immer mehr Wildwuchs beherbergt, als es vor 17 Jahren eingeplant war. Dieses Wechselspiel zwischen Wunsch und Wirklichkeit …
VG Silke
9. Juli 2013 um 09:06
Wir haben im Garten zahlreiche „wilde“ Stellen, wo immer wieder Überraschungen auftauchen, zuletzt eine Pflanze mit zarten gelb-lila Miniblütchen, die heißt Bittersüßer Nachtschatten…Habe auch ein altes Taschenbuch von 1984: Gerhard Gronefeld: Wie mache ich meinen Garten wild – oder gestaltete Natur.
Gruß von Sonja
9. Juli 2013 um 09:18
GärtnerInnen philosphieren , wunderbar. Leider fehlen mir da offenbar die passenden Begrifflichkeiten…was sind ‚Gattungswesen‘ ? Das klingt sehr altmodisch und vorwissenschaftlich in meinen Ohren. Für mich ist die Gattung ein Begiff der Systematik, der etwas über die Verwandtschaft der Organismen untereinander aussagt. Als philosophisch ungebildeter Mensch gebe ich dir dennoch recht und erkenne selbst als naturwissenschaftlich geprägte Hobbygärtnerin die Verwandtschaft zwischen Mensch und Pflanze jeden Tag…Als Biolehrerin weiß ich, dass wir sogar wie die Moose ( Niedere Pflanzen in der Systematik genannt !) seit Jahrmillionen denselben ‚Mechanismus‘ verwenden um Proteine in unserem Körper zu synthetisieren. Für mich hat das aber nichts Mystisches, sondern ist etwas Natürliches, was sich im Laufe der Evolution entwickelt hat. Und dieses Wissen lässt mich auch als nichtreligös ausgerichteter Mensch Achtung vor der der Natur haben.
Dass Menschen Pflanzen für ihre Zwecke ‚benutzen‘ und sie auch nach ihrer Nützlichkeit bewerten liegt am psychologischen Egoismus des Menschen, der aber auch gleichzeitig dazu geführt hat mehr über das ‚Wesen‘ der Fauna und Flora zu erfahren.
Mich würden auch eher die psychologische Motivation des Gartensünders interessieren, weshalb er immer noch nicht begriffen hat, welche ökologische Bedeutung ein Baum hat, oder wieso seine gärtnerischen Normen ihn so zwanghaft alles unnütz erscheinende, Löcher in Hosta fressende, sofort und auch mit jeden Mitteln zu eliminieren.
Gerade Hobbygärtner habe ich in manchen Gartenforen als sehr verbissen erlebt.
Ich bin gespannt, wohin die von dir angeregte Diskussion führen wird…
LG
Sisah
9. Juli 2013 um 09:34
Gute Idee, ich finde es nämlich immer interessant, wie Andere so mit ihren Gärten wachsen und wie sich die Weltsicht dadurch ändert (und das tut sie!!)
Wir stehen grad vor der Entscheidung, im Herbst gesunde, große Buchen zu fällen. „Nur“ weil es einfach so unglaublich viele sind, der Garten im Schatten versinkt und sich die Weltsicht durch die Bienen wieder verschoben hat (daß WIR Sonne wollten war nie so wichtig. Aber daß die Bienen zu wenig davon haben….*g*)In mehreren Jahren ist nun der Entschluß gereift, leicht war und ist das nicht! Auch wenn danach noch viele stehen werden.
9. Juli 2013 um 19:20
@Sisah: ohja, was die Anti-Gärtner angeht, da überleg‘ ich auch oft. Auf dem Arbeitsweg komme ich täglich an einem haus vorbei, dessen „Garten so aussieht: Ein bauzaunartiger Zaun, ca 2m hoch, dahinter von den Grundstücksgrenzen bis direkt ans Haus ausschließlich weißer Kies. Keine einzige Pflanze, nirgends. Grundstücksgröße etwa geschätzt 650qm.
Ich versteh das nicht! Da muß Anti-Algenmittel und Herbizid zum täglichen Gebrauch gehören, sonst ist sowas ja nicht möglich. WARUM tut man sowas?
9. Juli 2013 um 19:32
Ein spannendes Thema sprichst Du da an. Bei meiner Gartengestaltung mußte ich von Anfang an Kompromisse schließen, denn jede Pflanze, die sich bei mir einnistet, hat ein Recht zu bleiben, allerdings sollte das in Maßen passieren.
So dürfen Brennessel, wilde Himberen, Haselnuss breitwillig bleiben und selbst mit Geum, Brombeeren und Esche versuche ich ein „Abkommen“ zu finden, was mir zugegebener Maßen nicht immer leicht fällt.
Eine große Rosa canina durfte ebenfalls bleiben und dass manche Pflanzen einfach dort besser wachsen, wo sie sich aussäen, statt den Platz zu nehmen, den ich ihnen eigentlich zuweisen wollte, verleiht meinem Garten wenigstens ein gesundes Aussehen….
Und da hat mal jemand gesagt, Pflanzen wie Brenneseln suchen in der heutigen Zeit die Nähe zum Menschen. Dann sollten wir uns doch einmal mit der Pflanze befassen. Sie entgiftet unseren Körper und damit auch die Gelenke. Bei dem, was der Mensch heutzutage zu sich nimmt (ich nehme mich da nicht aus), ist sie in dieser Hinsicht äußerst nützlich. Die Samen enthalten ausßerdem sehr viel Eissen…
Lieben Gruß Cordula
11. Juli 2013 um 14:16
Herzlichen Dank für Eure interessanten Resonanzen!
@SchneiderHein: ich nenne das „interaktives Gärtnern“ – ist doch spannender, als alles nur nach Plan und dann „beaufsichtigen“…
@Sonja: dass es ein Buch gibt mit dem Titel „wie mache ich einen Garten wild“ finde ich ja witzig! Wild wird er doch eigentlich von alleine!
@Sisa: ich hätte besser „Gattungsseele“ sagen sollen, ja! Bei „Mystik der Pflanzen“ gehts nicht um Wissenschaft, eher um die Sprache und das Erleben des Herzens.
„Mich würden auch eher die psychologische Motivation des Gartensünders interessieren, weshalb er immer noch nicht begriffen hat, welche ökologische Bedeutung ein Baum hat, oder wieso seine gärtnerischen Normen ihn so zwanghaft alles unnütz erscheinende, Löcher in Hosta fressende, sofort und auch mit jeden Mitteln zu eliminieren.“
Naja, die Leute haben halt eine VORSTELLUNG und wollen, dass sich alles danach richtet. Oder sie richten sich nach alten Gartentraditionen, die eben „Ordnung“ und „Nutzen“ in den Vordergrund stellen – aus ihrer Geschichte heraus teils verständlich (Selbstversorgung im und nach dem Krieg z.B.), aber heute nicht mehr angemessen.
@Fjonka: ja, es gibt auch mal gute Gründe, Bäume zu fällen. Bevor du nurmehr Schattengärtnerin bist… und wenn sowieso noch genug übrig bleiben, sehe ich das nicht so kritisch.
@CarpeDiem: toll, die du das handhabst! Wir sind auch immer glücklich, wenn sich mal wieder was Neues einfindet! Oft ist es auch bei uns so, dass eine Pflanze, die wir an einem bestimmten Ort anzusiedeln versuchen, vor sich hin kümmert und verschwindet – dann aber an mehreren anderen Stellen von selber kommt. Toll! Manchmal hab‘ ich das Gefühl (ich weiss, total unwisschenschaftlich!), dass manche Gewächse meinen Ruf, meinen Wunsch, meine Einladung wahrnehmen und sich dann tatsächlich einfinden….
Gärtnern ist ein wunderbares Abenteuer und niemals langweilig. Ich werde weiter über die eher emotionalen Aspekte schreiben – Eure Kommentare fand ich inspirierend!
12. Juli 2013 um 07:55
Auch die Naturwissenschaftler befassen sich durchaus mit dem, was du Sprache und Erleben des Herzens nennst…und es gibt sogar bei der Suche nach Erkenntnis unter den Naturwissenschaftlern sehr unkonventionelle, die sich genau wie du fragen,‘ ob Pflanzen nicht mehr Respekt verdienen‘.
Lies mal das Buch von Florianne Koechlin ‚ Pflanzenpalaver‘..
LG
Sisah
15. Juli 2013 um 22:38
@Sisah: wär schön, wenn du dein Blog mit dem Namen verlinken würdest – WARUM machst du das nicht?
Das Buch werde ich mal beforschen/googeln – aber interessanter fände ich, von DIR zu lesen, wie es bei DIR mit der „Herzenskommunikation“ mit Pflanzen aussieht!
Was bedeutet es, eine „naturwissenschaftlich orientierte Gärtnerin“ zu sein – so ganz konkret?
16. Juli 2013 um 00:20
Die gleiche Logik leitet die Idee, nur mehr Pflanzen, statt Tiere zu essen. Auch finde ich das Wort Mystik weit hergeholt. Aber es ist ein schöner Text. Die Formulierung „pflanzliche Mitlebewesen“ gefällt mir. Besser: noch unbürokratischer. Sie sterben und wir sterben auch. Dass du deinen Garten gestaltest, über Leben und Tod entscheidest, ist o.k. – über die Menschen entscheiden Staaten, löschen sie zu Millionen in Kriegen aus oder und lassen sie leben. Den Pflanzen ist es egal. Ich habe viel von unserem kleinen Hund gelernt: Er lebt immer jetzt, sorgt sich nicht um morgen und quält sich nicht mit Erinnerungen. Vielleicht sind Pflanzen traurig, wenn es zu kühl wird, und glücklich, wenn die Sonne sie bescheint. Bestimmt wollen sie, wenn es geschieht, nicht ausgerissen werden, und wahrscheinlich freuen sie sich, wenn du ihnen Aufmerksamkeit schenkst. Aber sicher nehmen sie keinen Anteil daran, was du über sie schreibt – anders als ich. Es gibt so viele Pflanzen. Es gibt auch viele Menschen. Wir empfinden nur mit denen, die wir kennen. Alle kämpfen, jeder gegen jeden, um Jobs, Wohnungen, Schnäppchen, Partner, oder um Sonne, Wasser, Mineralien. Es nichts falsch daran, wenn du Partei ergreifst, dich verbündest mit deiner Lieblingsblume. Ich denke (das ist keine Mystik, nur Spinnerei), dass sie es zu schätzen weiß. Sie kann sich nicht bedanken – du bist zu komplex. Aber sie spürt dich. Leben heißt, zu wissen, dass man nicht allein ist. Für Pflanzen ist das einfach so. Nur einige Tiere (Menschen nennen sie ‚höhere‘) empfinden den Wettstreit als Lust, kultivieren das Böse. Darum vermute ich, dass du von den Pflanzen lernen kannst, glücklich zu werden. Oder gelassener. Stell dir vor, das sei ihr Dank. Mir würde das gefallen. Anders ging es mir, als ich dich im Garten besuchte. Es waren deine Pflanzen, nicht meine, ferner. Ich gewinne allmählich ein ähnlich vertrautes Verhältnis zum Plänterwald, nenne ihn schon meinen Wald, sehe täglich nach einzelnen Trieben, sogar nach Schleimpilzen auf dem Holz, mag manche Bäume und manche nicht – manchmal denke ich, sie sprechen mit mir. Ich räume Hindernisse aus dem Weg, rupfe z.B. Brennnesseln aus, die eine winzige Buche würgen, greife ein. Es ist Willkür, minimale im Vergleich zu den Eingriffen der Waldarbeiter, doch ein wenig verstehe ich, was du in deinem Garten tust. Hundert Jahre später wird alles anders aussehen – der Garten und auch der Wald sind vielleicht weg. Abstrakt betrachtet hätte ich früher vermutet, dass, was ich tu, ohne Bedeutung ist. Aber es gibt ja gar keinen Wald und keinen Garten, sondern nur jeden einzelnen Baum, jede einzelne Blume – jetzt. Und dich. Und mich. Und wir entscheiden, was wir daraus machen. Nach unseren Möglichkeiten. Darum reiche ich lieber dem Menschen die Hand, der vor mir steht, als der Menschheit. Danke für diesen Artikel.
16. Juli 2013 um 01:08
Warum alao kommst du nicht in unseren Garten?
Wo du doch weisst, dass du dich stets eingeladen fühlen darfst. umso mehr,so lange wíe wir uns faktisch und philosophisch kennen?