Tomaten selber vorziehen und auspflanzen, Timing, Standort, Pflege und Düngung – Henry vom Tomatl.net gibt Auskunft aus seinem reichen Erfahrungsschatz.
CK: Sei gegrüßt, Henry! Seit 2004 pflanzt und pflegst du Tomaten, seit 2006 teilst du deine Erfahrungen im bekannten Tomatl.net. Und immer wieder staune ich über die Vielfalt der Sorten, die bei dir wachsen und gedeihen!
Das Tomatenjahr 2010 – eher durchwachsen!
CK: Wir hatten mit unseren Tomaten deutlich weniger Glück als 2009: geringe Ausbeute, manche haben kaum Früchte angesetzt. Sag, wie war denn dein bisheriges Gartenjahr?
Henry: Tja, dem „durchwachsen“ kann ich leider nur zustimmen. Das Tomatenjahr 2010 wird sicher nicht rühmlich in die Geschichts- (garten)bücher eingehen. Ich hatte heuer zirka 35 Pflanzen im Freiland, im Gewächshaus und auf der Terrasse stehen, wobei ich die logistische Verteilung schon bei der Planung berücksichtigt habe. Also, krankheitsresistente Sorten im Freilandbeet (ungeschützt) und auf der Terrasse und im Gewächshaus die eher empfindlichen.
Die Anzucht begann erfolgsversprechend, die Keimrate der mehr als 25 Sorten lag bei über 90 Prozent. Die weitere Anzucht bis zum Pikieren verlief ebenfalls zufriedenstellend, bis auf einen zweiwöchigen Wachstumsstopp, der in den Jahren zuvor meist nur eine Woche gedauert hatte. Bei der Blütenbildung fiel mir jedoch auf, dass diese ebenfalls schon rund zwei Wochen später einsetzte, ebenso die anschließende Fruchtbildung. Viele Blüten blieben bis jetzt (Anfang September!) sogar unbestäubt. Und wie kann man den Reifeprozess beschreiben? Leider mit: viel zu langsam und viel zu spät. Der Ertrag hielt sich auch in Grenzen. Ich denke, das teilweise verrücktspielende Wetter war der Hauptgrund. Viel zu kühle Nächte, sehr viel Regen und dann wieder kurzzeitig fast tropische Temperaturen. Beschweren kann ich mich nicht, aber andere Tomatensaisonen waren um einiges besser.
Tomaten anpflanzen: Standort wechseln?
CK: Obwohl über Tomaten viel berichet wird, treiben mich immer noch bzw. wieder ein paar grundsätzliche Fragen um, zu denen es recht widersprüchliche Meinungen gibt. Fangen wir mit dem Pflanzen an:
Können (oder gar SOLLEN) Tomaten immer wieder in denselben Boden? Es wird geraten, die Erde mit den alten Pflanzen als Mulch anzureichern. Andere wieder meinen, auch bei Tomaten solle man den Standort wechseln, bzw. einen Fruchtwechsel berücksichtigen – draußen, aber sogar auch im Gewächshaus.
Wie siehst du das aus deiner Erfahrung? Und: welchen Anteil haben bei dir Gewächshaus bzw. Freiland-Tomaten?
Henry: Ich hatte bis jetzt absolut keine Probleme, Tomaten wieder an denselben Standort zu pflanzen. Ich weiß, jetzt werden einige aufschreien, aber ich konnte wirklich noch keine negativen Auswirkungen im darauffolgenden Jahr bemerken. Natürlich sehe ich zu, dass ich möglichst alle Reste der
alten Tomaten entferne, bevor ich im nächsten Jahr wieder Pflänzchen setze. Von Mulchen mit alten Pflanzen halte ich nichts, da diese immer wieder Keime oder ähnliches in sich bergen, die ich ja nicht wirklich in meinem „frischen“ Beet haben will. Die ausgelaugte Erde trage ich auch ab (max. 15 cm) und ersetze sie bereits im Herbst wieder mit frischem Kompost. Wenn ich Pferdemist als Dünger untergrabe, dann
geschieht dies auch bereits im Herbst. So habe ich dann im Frühjahr ein wunderbar durchdüngtes Beet, genau das richtige für die „Starkzehrer“.
Im Gewächshaus habe ich keine Erfahrung damit, da ich dort nur Pflanzen in Töpfen stehen habe.
Der Anteil von Gewächshaus- zu Freiland-Tomaten beträgt zirka 30:70. Die übrigen Pflanzen stehen verstreut auf der Terrasse und im Garten in Töpfen.
Tomaten selber vorziehen
CK: Du ziehst alle deine Tomaten also selber vor. Ich hab‘ das bisher zweimal gemacht, doch weiß ich nie so recht, wie das alles zeitlich optimal zu timen ist. (Dieses Jahr hab‘ ich wegen des langen Winters später begonnen, dann etliche erst deutlich nach den Eisheiligen raus gesetzt – und dann war die Zeit viel zu kurz bis zur heftigen Hitzeperiode!)
Also: Wann gibst du die Samen in die Erde – bzw. in was für ein Substrat? Und: bereitest du die Samen irgendwie vor?
Henry: Ich beginne mit der Aussaat meistens Mitte März. Manche meiner „Tomaten-Bekannten“ beginnen auch schon früher, doch nachdem ich eine kleine Anzuchtstation mit Kunstlicht im Keller aufgebaut habe, reicht dies völlig aus. Vor einigen Jahren habe ich – damals noch ohne Kunstlicht – meine Pflänzchen an den Fensterbrettern aufgezogen, da startete die Aussaat aber schon Mitte bis Ende Februar. Bevorzugtes Anzuchtmedium ist Tongranulat (Seramis), da die Wurzeln beim späteren Pikieren nicht verletzt, sprich abgerissen, werden. Außerdem kann man das Tongranulat jedes Jahr wiederverwenden. Vorbehandelt werden die Samen vor der Aussaat nicht.
CK: Und wann kommen die Pflänzchen dann in größere Töpfe?
Pikiert und in größere Töpfchen kommen die Pflanzen meistens nach drei bis maximal vier Wochen. Dabei kommt gute Anzuchterde zum Einsatz. Meiner Erfahrung nach sollte man bei dieser Erde nicht sparen, die
Pflänzchen danken es meist nach einer Woche mit einem ordentlichen Wachstumsschub.
CK: Kürzlich bekamen wir den Tipp, die Minis nach dem Keimen, wenn schon ein paar Blätter da sind, durchaus mal trockener zu halten, damit sie „robuster“ werden – ist da was dran?
Henry: Diese Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. „Robuster“ werden die jungen Pflänzchen, indem man mehrmals am Tag leicht über sie drüber streicht oder anpustet, damit sie sich bewegen. Das simuliert den Wind in der freien Natur. Meinen Erfahrungen nach, werden die Pflänzchen
wirklich stärker.
Vom richtigen Timing
CK: Und WANN ist es dann soweit, dass sie ‚raus kommen?
Henry: Da ich in der glücklichen Lage bin, ein Gewächshaus mein Eigen zu nennen, werden die Pflanzen meistens schon Mitte April dorthin verfrachtet, wo sie dann bis zirka Anfang bis spätestens Mitte Mai bleiben. Kommt natürlich auch immer auf das Wetter an. Das letzte Mal umgepflanzt, also in die endgültigen Töpfe und ins Freiland, werden die Tomaten dann ab spätestens Mitte Mai.
CK: Du sprichst von „ungeschütztem Freiland“ – hast also kein „Tomatendach“ gegen Braunfäule?
Henry: Nein, ich habe absolut keinen Schutz, sprich Dach, für die Freilandtomaten. Ich versuche, dieses Manko mit äußerst robusten Sorten auszugleichen. Sogenannte Tomaten-Hauben verwende ich auch nicht, da ich damit schlechte Erfahrungen gemacht habe (Kondenswasserbildung im Inneren).
Tomaten düngen: wie und wann?
CK: Du sagtest, dass du den Boden mit Kompost und Pferdemist bereits im Herbst vorbereitest. Wie hältst du es dann mit zusätzlichem Dünger? Da gibts ja viel, quer durch „chemisch hergestellt“, „bio“, die verschiedenen Jauchen und allerlei als tomatenfreundlich geltende Zusätze.
???
Henry: Ich dünge meine Pflanzen zirka alle 14 Tage mit einem biologischen Dünger oder mit verschiedenen Jauchen (Brennnessel oder Schachtelhalm), die ich selbst angesetzt habe. Das reicht meiner Meinung nach völlig aus. Jene Pflanzen, die in Trögen oder Töpfen stehen, werden mit einer etwas „aufgemotzten“ Erde zu Beginn versorgt, d.h. ich mische etwas Urgesteinsmehl unter. Später, wenn die Zeit des Ausgeizens angebrochen ist, werden diese nicht mehr benötigten Triebe zerkleinert und einfach auf die Erde gegeben. Das Gieswasser spült dann deren Nährstoffe wieder mit ins Erdreich.
Tomaten ausgeizen?
CK: Wie hältst du es mit dem Ausgeizen? Ziehst du deine Tomaten alle „eintriebig“ am Stock in die Höhe? Oder lässt du auch mal mehrere Triebe wachsen? Ab wann sollte man weitere Blüten und Triebe entfernen?
Henry: Ausgeizen ist wichtig, jedoch nur bei Stabtomaten. Cocktail- und Buschtomaten geize ich nicht aus, die dürfen ruhig etwas „in die Breite“ gehen. Die meisten Stabtomaten ziehe ich „eintriebig“ und habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Natürlich kam es auch mal vor, dass auf einmal ein zweiter Haupttrieb so kräftig geworden war (besonders nach urlaubsbedingter Abwesenheit), dass ich ihn nicht mehr entfernt habe.
Blüten und Triebe, die erst sehr spät „auftauchen“, sprich gegen Ende Juli/Anfang August, werden entfernt. Sie nehmen sonst den schon vorhandenen Früchtchen zu viel Kraft weg.
Robuste Tomatensorten fürs Freiland
CK: Kannst du uns ein paar besonders robuste Sorten fürs Freiland empfehlen?
Henry: Gute Erfahrungen habe ich mit schwarzen Sorten aus Russland gemacht (Black Krim, Black from Tula, Black Plum, Schwarzer Prinz, …), sowie z.B. Aunt Ruby’s German Green, De Berao (Achtung: wird bis zu 6 Meter hoch), Anna Hermann, Rote und gelbe Dattelwein, Gelbe Johannisbeere,
Green Zebra, Red Zebra, Kremser Perle, Druzba, Baselbieter Röteli, Mexikanische Honigtomate, um nur einige zu nennen.
CK: Du bloggst über all deine Tomaten-Experimente. Wie zufriende bist du damit? Was bringt es dir und was wünscht du dir vielleicht noch?
Henry: Mir macht mein Tomatl.net sehr viel Spaß, auch wenn ich derzeit leider etwas weniger Zeit dafür habe. Begonnen hat ja alles eigentlich nur als persönliches Tagebuch, ist aber mit der Zeit immer größer geworden und auch das Feedback wurde immer mehr. Es entstanden „Tomaten-Freundschaften“ auf der ganzen Welt, von Europa, USA bis nach Japan – und natürlich damit verbunden: Austausch von Samen. Derzeit macht ein Freund von mir (Frithjof Bergmann) ein Aufzuchtexperiment in
Südafrika mit meinen Tomatensamen, was mich besonders freut. Natürlich sind auch diverse Artikel von Zeitungen und Zeitschriften, wie Süddeutsche Zeitung oder Stern, oder Erwähnungen in Fernsehsendungen
(Galileo) immer etwas tolles. Sozusagen der „Dünger“ für mich.
Tja, was wünsche ich mir noch? Eigentlich nur mehr Zeit, um noch mehr Tomaten-Geschichten unter das Volk zu bringen… – und umgekehrt: wenn jemand Wünsche an mich hat, E-Mail genügt!
Lieber Henry, ich danke dir ganz herzlich für dieses interessante Gespräch!
(Die Leser/innen sind herzlich eingeladen, zur einen oder anderen Frage eigene Erfahrungen hinzuzufügen!)
10. September 2010 um 14:20
– möchte mich auch für dieses aufschlussreiche Gespräch bedanken – bin ein absoluter Tomatenfreak, kann aber leider nicht über grossartige Ernten berichten. Unsere Tomatenecke ist wohl etwas allzu schattig (und zudem überdacht, aber immerhin lichtdurchlässig) – nur nachmittags und abends Sonne (wenn sie denn scheint!!)War in diesem Sommer nicht eben ideal und dennoch haben die Früchte gut angesetzt. Die Frage ist jetzt nur, ob für die Vollreife noch genügend Zeit vorhanden ist…
Liebe Grüsse und auch für den link ein herzliches Dankeschön!
12. September 2010 um 14:14
Sehr schönes Interview mit tollen Aspekten zur Pflanzung von Tomaten. Wenn das Wetter wieder besser ist, dann werde ich versuchen davon etwas zu realisieren. Ich habe das Tomatenblog jetzt mal in den Feedreader gepackt und die iPhone App gedownloadet. Danke für das Interview und die Blogempfehlung, ich werde mich jetzt mal mehr mit Tomaten befassen. Das riecht nach einer spannenden Herausforderung.
20. September 2010 um 13:39
Vielen Dank für die wertvollen Tipps.
Eigentlich kann ich mich über meine diesjährige Tomatenernte nicht beschweren. Aber dennoch habe ich hier einiges dazugelernen können.
23. September 2010 um 09:14
Interessantes Interview. Das bestätigt auch meine geringe Tomatenausbeute aus meinem Garten! Schade … mal sehen wie es weiter geht.
23. September 2010 um 13:30
Wow… was ein interessantes Interview. Besonderst gut finde ich die Tomatensorten Empfehlungen. Vielleicht werde ich auch mal damit herumexperimentieren. Vielen Dank für diese guten Vorschläge. Damit kann die nächste Beute vielleicht etwas besser ausfallen.
23. September 2010 um 14:15
Vielen Dank für das Interview, hat mir auch sehr gefallen. Ich hab im Gartenjahr 2009 eine deutlich bessere Tomatenernte verzeichnen können als in diesem Jahr. Und das, obwohl ich in dieser Saison über ein neues Gewächshaus verfüge. Aber wie man sieht, ist die technische Ausrüstung zweitrangig. Das wichtigste ist nun mal das Wetter, und das kann man (leider) nicht beeinflussen.
25. September 2010 um 20:32
Hallo aus Spanien,
vielen Dank für die Veröffentlichung dieses interessanten Interviews. Als Tomatenfan und Liebhaberin alter Sorten (allerdings noch sehr laienhaft, was den Anbau angeht), habe ich mich sehr darüber gefreut.
Werde gleich den Tomatenblog von Henry in meine Blogliste aufnehmen. Ebenso wie deinen, denn ich war bereits vor längerer Zeit darauf aufmerksam geworden, hatte ihn doch dummerweise nicht gleich abgespeichert. Das wird nun sofort nachgeholt.
Um nochmals auf die Tomaten zurückzukommen, auch in unserer Gegend (Costa Brava) wurden sie in diesem Jahr um einiges später reif als in den Vorjahren!
LG
Daniela
27. September 2010 um 12:33
Tomaten dieses Jahr waren ein einziger Alptraum. Selbst die als so sehr robust im wieder genannte goldene Johannisbeere im Freiland & auch Humboldtii ein einziger Schlag ins Wasser. – Früchte verfault bevor sie reif wurden. Einige wenige Früchte konnten wir ernten unter Dach von Black Plum, Brandywine Sherry (sehr lecker!). Die Ochsenherz war schon krank bevor sie die ersten früchte angesetzt hat. Den besten Ertrag hatten wir noch bei San Marzano 3 („Dralle Rote“ von Chrestensen). Die bisherige Ernte von fast 20 Pflanzen dürfte kaum 3 kg betragen haben
Was mich „beruhigte“ auch unser Biobauer (Kreis Neuss), der in riesigen Folientunneln (tausende Quadratmeter) Tomaten anbaut, hat dieses Jahr gigantische Ernteeinbußen – braun statt rot werdende Früchte. Nun genug des Kommentars, sonst kann ich mir meinen eigenen Blogbeitrag dazu bald sparen. ;-)
27. September 2010 um 13:35
… und ich habe bis jetzt unsere Cockteiltomaten immer ausgegeizt. Aber klinkt einleuchtend, dass wenn man es nicht macht sie in Breite gehen, was ja eigentlich auch sein soll. Schöner Hinweis!
17. November 2010 um 17:15
Danke für die Infos – ich hab da auch ein interessantes Video über das Ausgeizen von Tomaten gefunden.